Sie erreichten
das kleine Kloster, unterbrochen durch zwei kleinen Verschnaufpausen,
erst nach zwei Stunden, weil es die meiste Zeit steil bergauf ging.
Trotzdem murrte keiner, weil es wie eine rettende Insel klang, die
sie alle eher früher als später erreichen wollten. Geredet hatten
sie in der Zeit keine zehn Worte. Das Kloster lag auf einem Hügel,
inmitten einer großen Lichtung. Die Baumgrenze war mehr als 75 Meter
entfernt und war frisch gerodet worden. Trotzdem konnte man das
Kloster von weiter unten, wegen der starken Vegetation nicht
einsehen.
Mike zeigte auf
die frisch geschlagenen Bäume. „Waren sie das?“
„Ja, wir
dachten es wäre eine gute Idee.“ Er sprach nicht weiter, was sie
genau damit bezweckten, aber Robert konnte es ahnen. Durch die breite
Lichtung konnten sie schon frühzeitig Besucher erkennen, was auch an
der guten Überwachung lag. Robert zählte auf jedem oberen Gang
mindestens zwei Brüder. Außerdem verhinderten sie dadurch, dass
jemand an den Bäumen hoch kletterte. Scheinbar hatten sie einen
kleinen Exkurs in taktischer Verteidigung erhalten. Es war
erstaunlich, was er selbst aus Dokumentationen im Fernsehen gelernt
hatte.
Als sie nur noch
wenige Meter vom Tor entfernt waren, schaute jemand durch ein
Guckloch an der Seite und brüllte dann einen Befehl das Tor zu
öffnen. Feierlich schritten sie hindurch und wurden sogleich von
einem Dutzend Mönchen in braunen Kutten empfangen.
Das Kloster war
von innen noch riesiger als es von außen vermuten ließ. Nach dem
Tor war man sofort im riesigen Hof, der mit je einem großen Baum in
den Ecken gesäumt war. Überall gingen Gänge und Treppen ab und
alles war sauber und gepflegt. Scheinbar war man hier bisher von der
Katastrophe verschont geblieben.
Ein junger Mann
kam sofort auf sie zugeeilt, als er den Jungen in Roberts Armen sah.
„Kommt,
schnell. Ich bringe euch auf die Krankenstation.“ Robert blickte
sich zu Vivian und Mike um und versuchte ihnen mit den Augen mit
zuteilen, dass sie vorsichtig sein sollten, doch Mike hatte dafür
keinen Blick. Von ihm fiel jegliche Anspannung ab. Vivian nickte ihm
kurz zu und ließ dann ihren Blick über die anderen Männer
schweifen. Hatte sie da gerade einen lüsternen Blick gesehen? Der
Mann von dem sie es vermutete trat vor. Er war kleiner als alle seine
Mitstreiter und für einen Mönch sehr jung, höchstens Mitte 20,
weiß wie der Schnee und hatte etwas durchtriebenes, wie Vivian fand.
„Bruder
Charles.“, er betonte das Wort Bruder auffällig. „Wen bringst du
denn von der Erkundung mit?“
„Bruder James.
Ich fand diese Gruppe draußen auf der Hauptstraße. Ihr Truck ist
liegen geblieben und der Junge wurde gebissen.“ Sofort ging ein
raunen durch die Menge. „Keine Angst meine Brüder, wir haben
nichts zu befürchten. Diese Frau hier, hat sich der Sache angenommen
und vorsichtshalber die betroffene Hand amputiert.“, er machte eine
kurze Pause und fügte dann hinzu: „Ihr solltet also aufpassen,
dass ihr euch nicht mit ihr anlegt.“ Er grinste und es klang wie
ein Scherz. Was die Situation jedoch merkwürdig machte, was die
Tatsache, dass niemand lachte. Ja, es gab nicht einmal jemanden der
grinste außer Charles. Alle starrten sie einfach nur an. Peinliche
Stille breitete sich aus, bis Mike sie unsanft durchbrach.
„So, wo kann
ich denn mal meinen Astralkörper duschen?“
„Folgt mir.“,
sagte James grinsend und verschwand mit Mike in einem kleinen
Nebengang. Charles machte eine Handbewegung, welche die übrigen
Mönche verstreuen ließ.
„Vivian, wollt
ihr vielleicht zuerst etwas essen?“, er legte ihr die Hand an die
Schulter und lenkte sie bestimmt in Richtung der Küche. Ihr blieb
keine große Wahl. Wehren wollte sie sich sowieso nicht, denn sie
hatte wirklich großen Hunger.
Auf der
Krankenstation kümmerte sich der junge Mann, der sich mit dem Namen
Christopher vorgestellt hatte rührend um Ben. Er hatte vorsichtig
den Verband entfernt, die Wunde gereinigt und sie frisch mit
kühlendem Gel verbunden. Zusätzlich hatte er ihn an einen Tropf
gelegt, um den Blutverlust ein wenig auszugleichen und flüssige
Antibiotika zu verabreichen . Er verstand definitiv etwas von seinem
Fach, auch wenn er noch jung war.
Robert hielt die
ganze Zeit Wache, war daher dankbar als ihm Vivian ein Sandwich
mitbrachte.
„Wie geht es
ihm?“, sie schaute nach was auf dem Tropf stand, konnte aber mit
der Bezeichnung nichts anfangen.
„Es geht ihm,
den Umständen entsprechend, gut.“, murmelte er, während das
Sandwich in seinem Mund verschwand. „Christopher, der Arzt hier,
ist ein Meister seines Faches, ungewöhnlich für einen Mönch. Wie
so vieles hier.“ Vivian schaute ihn fragend an. Während Robert
Christopher beobachtete, der im Nebenraum Medikamentenschrank
vertieft war. Kurz konnte er einen Blick auf Christophers Schuhe
erhaschen. Es waren dieselben schwarzen Lederschuhe, wie auch Charles
sie trug.
„Ist dir noch
nicht aufgefallen, dass hier alles irgendwie ein wenig merkwürdig
ist?“
„Charles
scheint ein netter Kerl zu sein, wenn auch ein wenig verschroben.
Christopher und die anderen habe ich mir noch nicht angeschaut. Aber
dieser rothaarige James ist mir irgendwie suspekt. Ich hätte vorhin
schwören können, dass er mich mit seinen Blicken fast ausgezogen
hat.“ Sie versuchte besonders leise zu sprechen. Robert schaute an
ihr herunter, wie sie in den knappen Klamotten vor ihm stand und
musste daran denken, dass er James verstehen konnte.
„Es könnte
auch sein, dass er noch nicht so lang dabei ist und sich daher noch
nicht an seine Abstinenz gewöhnt hat. Aber du hast Recht, ich
behalte ihn im Auge. Sonst noch was entdeckt?“ Robert drehte sich
um und schaute durch das Gitter der Tür.
„Nein, nicht
das ich wüsste. Charles meinte er zeigt uns nachher die Quartiere,
jedoch dürften wir nicht im selben Raum schlafen – Gott würde es
nicht gut heißen.“ Sie lächelte ihn schelmisch an und er konnte
ein funkeln in ihren Augen sehen. Er hatte Vivian in der kurzen Zeit
schon ins Herz geschlossen und musste sich selbst eingestehen, dass
er auf sie stand. Und das hatte nicht das Geringste damit zu tun,
dass sie wahrscheinlich die einzige Frau auf diesem verseuchten
Planeten war.
„Ich denke, ich
bleibe jetzt erst einmal bei Ben. Dann kannst du auch duschen, sehr
sauber riechst du nämlich nicht gerade.“ Sie boxte ihm auf die
Schulter und setzte sich auf Bens Bettkante, als Christopher zur Tür
herein kam und sie grüßte. Robert verzog sich und traf auf dem Flur
auf Charles.
„Bruder
Charles? Zu ihnen wollte ich gerade.“
„Ja? Nun, hier
bin ich.“ Er stellte sich offen neben Robert und verschränkte die
Hände auf dem Rücken. Eine typische Filmgeste, wie Robert fand.
„Wie gehen sie
mit der Katastrophe um?“, er formulierte die Frage absichtlich
schwammig und hoffte auf eine ausschweifende Erklärung, wurde jedoch
enttäuscht.“
„Ich denke so
wie alle anderen auch.“
„Aber glauben
sie es war Gottes Plan für uns, dass sich scheinbar alle in
willenlose Untote verwandelt haben?“
„Robert, Gottes
Wege sind unergründlich und leider spricht er nicht direkt zu mir.
Aber er wird sich schon etwas dabei gedacht haben.“ Charles
zwinkerte ihm zu.
„Ok, lassen wir
das.“, er schaute kurz in die Runde und sah wie Mike, scheinbar
frisch geduscht von James in die Küche geführt wurde, nicht ohne
das James Robert einen tödlichen Blick zu warf. „Wie sieht es mit
der Vorratsbeschaffung aus? Können wir irgendwie helfen?“
„Wo sie es ja
schon ansprechen. Ich wäre auch selbst auf sie zu gekommen.“ Er
lenkte seine Schritte zum Turm an der Nordseite, Robert folgte ihm.
„Wir schicken ein bis zwei Mal die Woche eine Gruppe in die nächste
Stadt. Dort werden die Häuser und Geschäfte systematisch
durchsucht, fein säuberlich markiert und dann alles Brauchbare
hierher geschafft.“ Robert war überwältigt von der Aussicht. Vor
ihnen lag eine kleine Stadt, friedlich schlafend und schien völlig
intakt zu sein. Ein Fluss führte quer durch den Ort. Die Fahnen der
Geschäfte und Häuser waren noch gehisst. Zum Bild einer Postkarte
fehlte nur noch das Ortsschild mit der genauen Einwohnerzahl. In
diesem Fall wahrscheinlich 30.000 Untote.
„Wir haben vor
kurzem zwei unserer Brüder auf einer, wie wir sie nennen, Mission
verloren. Wäre es für sie denkbar, sich sobald sie ausgeruht sind,
sagen wir übermorgen, einem meiner Brüder anzuschließen?“
„Ich denke das
kriegen wir hin, sofern sie solange auf Ben aufpassen, werden wir
drei das schon Schaukeln.“
„Oh, eigentlich
meinte ich nur Sie und Mike.“
Robert schaute
ihn skeptisch an.
„Verstehen sie
das nicht falsch, aber wir haben für unsere Mission nur ein
passendes Auto. Einen alten Ford Pickup. Und der hat leider nur vorn
drei Sitzplätze. Neben dem Fahrer, der sich in der Stadt gut
auskennen muss um zu wissen an welchen Orten wir schon waren, bleiben
also nur noch zwei Plätze für sie und Mike.“ Er schaute Robert
verständnisvoll an und dieser nickte. Robert notierte sich im
Geiste, vielleicht in Zukunft weniger misstrauisch zu sein.
„Klar, das
bekommen wir hin. Aber ist Stehlen nicht eines der zehn Gebote, die
wir nicht brechen sollten? Und wir werden ihnen hier auch nicht
länger als nötig zur Last fallen.“
„Robert, es
ehrt Gott mit Sicherheit, dass sie sich darum Sorgen machen, aber ich
versprechen ihnen sie werden durch die Vorratsbeschaffung keine
Nachteile bekommen, wenn sie irgendwann vor Gott stehen.“
„Ihr Wort in
Gottes Ohr.“, scherzte Robert. „Jetzt würde ich wirklich gern
auf die Einladung mit dem Essen zurückkommen.“
„Sicher,
Robert. Eine Dusche würden ihnen aber auch gut tun.“, zwinkernd
ging Charles voraus. Robert konnte ihn immer noch nicht einschätzen.
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