Undtot - Kapitel 17: Unter Brüdern

Sie erreichten das kleine Kloster, unterbrochen durch zwei kleinen Verschnaufpausen, erst nach zwei Stunden, weil es die meiste Zeit steil bergauf ging. Trotzdem murrte keiner, weil es wie eine rettende Insel klang, die sie alle eher früher als später erreichen wollten. Geredet hatten sie in der Zeit keine zehn Worte. Das Kloster lag auf einem Hügel, inmitten einer großen Lichtung. Die Baumgrenze war mehr als 75 Meter entfernt und war frisch gerodet worden. Trotzdem konnte man das Kloster von weiter unten, wegen der starken Vegetation nicht einsehen.
Mike zeigte auf die frisch geschlagenen Bäume. „Waren sie das?“


Ja, wir dachten es wäre eine gute Idee.“ Er sprach nicht weiter, was sie genau damit bezweckten, aber Robert konnte es ahnen. Durch die breite Lichtung konnten sie schon frühzeitig Besucher erkennen, was auch an der guten Überwachung lag. Robert zählte auf jedem oberen Gang mindestens zwei Brüder. Außerdem verhinderten sie dadurch, dass jemand an den Bäumen hoch kletterte. Scheinbar hatten sie einen kleinen Exkurs in taktischer Verteidigung erhalten. Es war erstaunlich, was er selbst aus Dokumentationen im Fernsehen gelernt hatte.
Als sie nur noch wenige Meter vom Tor entfernt waren, schaute jemand durch ein Guckloch an der Seite und brüllte dann einen Befehl das Tor zu öffnen. Feierlich schritten sie hindurch und wurden sogleich von einem Dutzend Mönchen in braunen Kutten empfangen.
Das Kloster war von innen noch riesiger als es von außen vermuten ließ. Nach dem Tor war man sofort im riesigen Hof, der mit je einem großen Baum in den Ecken gesäumt war. Überall gingen Gänge und Treppen ab und alles war sauber und gepflegt. Scheinbar war man hier bisher von der Katastrophe verschont geblieben.
Ein junger Mann kam sofort auf sie zugeeilt, als er den Jungen in Roberts Armen sah.
Kommt, schnell. Ich bringe euch auf die Krankenstation.“ Robert blickte sich zu Vivian und Mike um und versuchte ihnen mit den Augen mit zuteilen, dass sie vorsichtig sein sollten, doch Mike hatte dafür keinen Blick. Von ihm fiel jegliche Anspannung ab. Vivian nickte ihm kurz zu und ließ dann ihren Blick über die anderen Männer schweifen. Hatte sie da gerade einen lüsternen Blick gesehen? Der Mann von dem sie es vermutete trat vor. Er war kleiner als alle seine Mitstreiter und für einen Mönch sehr jung, höchstens Mitte 20, weiß wie der Schnee und hatte etwas durchtriebenes, wie Vivian fand.
Bruder Charles.“, er betonte das Wort Bruder auffällig. „Wen bringst du denn von der Erkundung mit?“
Bruder James. Ich fand diese Gruppe draußen auf der Hauptstraße. Ihr Truck ist liegen geblieben und der Junge wurde gebissen.“ Sofort ging ein raunen durch die Menge. „Keine Angst meine Brüder, wir haben nichts zu befürchten. Diese Frau hier, hat sich der Sache angenommen und vorsichtshalber die betroffene Hand amputiert.“, er machte eine kurze Pause und fügte dann hinzu: „Ihr solltet also aufpassen, dass ihr euch nicht mit ihr anlegt.“ Er grinste und es klang wie ein Scherz. Was die Situation jedoch merkwürdig machte, was die Tatsache, dass niemand lachte. Ja, es gab nicht einmal jemanden der grinste außer Charles. Alle starrten sie einfach nur an. Peinliche Stille breitete sich aus, bis Mike sie unsanft durchbrach.
So, wo kann ich denn mal meinen Astralkörper duschen?“
Folgt mir.“, sagte James grinsend und verschwand mit Mike in einem kleinen Nebengang. Charles machte eine Handbewegung, welche die übrigen Mönche verstreuen ließ.
Vivian, wollt ihr vielleicht zuerst etwas essen?“, er legte ihr die Hand an die Schulter und lenkte sie bestimmt in Richtung der Küche. Ihr blieb keine große Wahl. Wehren wollte sie sich sowieso nicht, denn sie hatte wirklich großen Hunger.


Auf der Krankenstation kümmerte sich der junge Mann, der sich mit dem Namen Christopher vorgestellt hatte rührend um Ben. Er hatte vorsichtig den Verband entfernt, die Wunde gereinigt und sie frisch mit kühlendem Gel verbunden. Zusätzlich hatte er ihn an einen Tropf gelegt, um den Blutverlust ein wenig auszugleichen und flüssige Antibiotika zu verabreichen . Er verstand definitiv etwas von seinem Fach, auch wenn er noch jung war.
Robert hielt die ganze Zeit Wache, war daher dankbar als ihm Vivian ein Sandwich mitbrachte.
Wie geht es ihm?“, sie schaute nach was auf dem Tropf stand, konnte aber mit der Bezeichnung nichts anfangen.
Es geht ihm, den Umständen entsprechend, gut.“, murmelte er, während das Sandwich in seinem Mund verschwand. „Christopher, der Arzt hier, ist ein Meister seines Faches, ungewöhnlich für einen Mönch. Wie so vieles hier.“ Vivian schaute ihn fragend an. Während Robert Christopher beobachtete, der im Nebenraum Medikamentenschrank vertieft war. Kurz konnte er einen Blick auf Christophers Schuhe erhaschen. Es waren dieselben schwarzen Lederschuhe, wie auch Charles sie trug.
Ist dir noch nicht aufgefallen, dass hier alles irgendwie ein wenig merkwürdig ist?“
Charles scheint ein netter Kerl zu sein, wenn auch ein wenig verschroben. Christopher und die anderen habe ich mir noch nicht angeschaut. Aber dieser rothaarige James ist mir irgendwie suspekt. Ich hätte vorhin schwören können, dass er mich mit seinen Blicken fast ausgezogen hat.“ Sie versuchte besonders leise zu sprechen. Robert schaute an ihr herunter, wie sie in den knappen Klamotten vor ihm stand und musste daran denken, dass er James verstehen konnte.
Es könnte auch sein, dass er noch nicht so lang dabei ist und sich daher noch nicht an seine Abstinenz gewöhnt hat. Aber du hast Recht, ich behalte ihn im Auge. Sonst noch was entdeckt?“ Robert drehte sich um und schaute durch das Gitter der Tür.
Nein, nicht das ich wüsste. Charles meinte er zeigt uns nachher die Quartiere, jedoch dürften wir nicht im selben Raum schlafen – Gott würde es nicht gut heißen.“ Sie lächelte ihn schelmisch an und er konnte ein funkeln in ihren Augen sehen. Er hatte Vivian in der kurzen Zeit schon ins Herz geschlossen und musste sich selbst eingestehen, dass er auf sie stand. Und das hatte nicht das Geringste damit zu tun, dass sie wahrscheinlich die einzige Frau auf diesem verseuchten Planeten war.
Ich denke, ich bleibe jetzt erst einmal bei Ben. Dann kannst du auch duschen, sehr sauber riechst du nämlich nicht gerade.“ Sie boxte ihm auf die Schulter und setzte sich auf Bens Bettkante, als Christopher zur Tür herein kam und sie grüßte. Robert verzog sich und traf auf dem Flur auf Charles.
Bruder Charles? Zu ihnen wollte ich gerade.“
Ja? Nun, hier bin ich.“ Er stellte sich offen neben Robert und verschränkte die Hände auf dem Rücken. Eine typische Filmgeste, wie Robert fand.
Wie gehen sie mit der Katastrophe um?“, er formulierte die Frage absichtlich schwammig und hoffte auf eine ausschweifende Erklärung, wurde jedoch enttäuscht.“
Ich denke so wie alle anderen auch.“
Aber glauben sie es war Gottes Plan für uns, dass sich scheinbar alle in willenlose Untote verwandelt haben?“
Robert, Gottes Wege sind unergründlich und leider spricht er nicht direkt zu mir. Aber er wird sich schon etwas dabei gedacht haben.“ Charles zwinkerte ihm zu.
Ok, lassen wir das.“, er schaute kurz in die Runde und sah wie Mike, scheinbar frisch geduscht von James in die Küche geführt wurde, nicht ohne das James Robert einen tödlichen Blick zu warf. „Wie sieht es mit der Vorratsbeschaffung aus? Können wir irgendwie helfen?“
Wo sie es ja schon ansprechen. Ich wäre auch selbst auf sie zu gekommen.“ Er lenkte seine Schritte zum Turm an der Nordseite, Robert folgte ihm. „Wir schicken ein bis zwei Mal die Woche eine Gruppe in die nächste Stadt. Dort werden die Häuser und Geschäfte systematisch durchsucht, fein säuberlich markiert und dann alles Brauchbare hierher geschafft.“ Robert war überwältigt von der Aussicht. Vor ihnen lag eine kleine Stadt, friedlich schlafend und schien völlig intakt zu sein. Ein Fluss führte quer durch den Ort. Die Fahnen der Geschäfte und Häuser waren noch gehisst. Zum Bild einer Postkarte fehlte nur noch das Ortsschild mit der genauen Einwohnerzahl. In diesem Fall wahrscheinlich 30.000 Untote.
Wir haben vor kurzem zwei unserer Brüder auf einer, wie wir sie nennen, Mission verloren. Wäre es für sie denkbar, sich sobald sie ausgeruht sind, sagen wir übermorgen, einem meiner Brüder anzuschließen?“
Ich denke das kriegen wir hin, sofern sie solange auf Ben aufpassen, werden wir drei das schon Schaukeln.“
Oh, eigentlich meinte ich nur Sie und Mike.“
Robert schaute ihn skeptisch an.
Verstehen sie das nicht falsch, aber wir haben für unsere Mission nur ein passendes Auto. Einen alten Ford Pickup. Und der hat leider nur vorn drei Sitzplätze. Neben dem Fahrer, der sich in der Stadt gut auskennen muss um zu wissen an welchen Orten wir schon waren, bleiben also nur noch zwei Plätze für sie und Mike.“ Er schaute Robert verständnisvoll an und dieser nickte. Robert notierte sich im Geiste, vielleicht in Zukunft weniger misstrauisch zu sein.
Klar, das bekommen wir hin. Aber ist Stehlen nicht eines der zehn Gebote, die wir nicht brechen sollten? Und wir werden ihnen hier auch nicht länger als nötig zur Last fallen.“
Robert, es ehrt Gott mit Sicherheit, dass sie sich darum Sorgen machen, aber ich versprechen ihnen sie werden durch die Vorratsbeschaffung keine Nachteile bekommen, wenn sie irgendwann vor Gott stehen.“
Ihr Wort in Gottes Ohr.“, scherzte Robert. „Jetzt würde ich wirklich gern auf die Einladung mit dem Essen zurückkommen.“
Sicher, Robert. Eine Dusche würden ihnen aber auch gut tun.“, zwinkernd ging Charles voraus. Robert konnte ihn immer noch nicht einschätzen.


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