Müde drehte sich
Vivian von einer Seite auf die andere. Sie hatte in der letzten Nacht
kaum geschlafen. Dies war aber auch kaum möglich, denn die Pritschen
in der Ausnüchterungszelle waren sehr sehr unbequem. Sie konnte sich
noch ungefähr daran erinnern, wie sie dahin kam. Es musste was mit
der Bar zu tun haben, in der sie gestern nach der Arbeit gelandet
war.
Mit schrecken löste
sich der Nebel vor ihrem geistigen Auge. Unter anderem wurde ihr nun
klar, weshalb sie ihren Job geschmissen und zu Pete und Jonny in den
Pub gefahren war. Auch der Typ der ihr an den Po gefasst hatte,
tauchte vor ihrem geistigen Auge auf.
Vielleicht wäre es
ratsamer gewesen sich erst umzudrehen, um zu schauen wer sie
belästigt hatte, statt ihm direkt das Bierglas über den Schädel zu
ziehen. Aber für Reue war es zu spät. Auch der Sohn vom Sheriff
musste lernen, dass er nicht über dem Gesetz stand. Theoretisch
jedenfalls. Sein Vater war da anderer Ansicht, weshalb sie nun hier
lag und sich ihrer rasenden Kopfschmerzen bewusst wurde.
Sie hörte einen
Stuhl über den Dielenboden kratzen. Ächzend stampfte ein
schwergewichtiger Mann Mitte fünfzig auf sie zu. Sheriff Bowler war
seit mehr als 25 Jahren bei der Polizei von Exeter, was erklärte
warum er mittlerweile so ergraut war. Seiner Figur sah man auch an,
dass er in den letzten Jahren die Arbeit anderen überlassen hatte
und sich lieber um die hiesige Dezimierung der Donutvorräte
kümmerte. Das er an einem Sonntag Morgen Dienst schob war etwas
besonderes, was aber bestimmt nicht gut war für Vivian. Nicht nur
das Sheriff Bowler eine überaus miese Laune haben würde, weil er es
hasste Sonntags morgens zu arbeiten, sondern auch weil er seinen Sohn
über alles liebte. Genau den Sohn, der vermutlich noch gestern Abend
vor 23 Uhr im Krankenhaus am Kopf genäht werden musste.
„Vivian, warum war
mir gestern schon klar, dass es ein besonders mieses Wochenende
werden würde als mich Pete anrief und mir mitteilte, dass du Stress
in der Bar angefangen hattest.“, er lehnte lässig an den
Gitterstäben und musterte Vivian, wie sie ausgestreckt auf der Liege
lag.
Sie registrierte
seinen Blick und schaute an sich selbst hinunter. Ihre schwarzen
Haare waren ungewaschen und sehr zerzaust, das rote Tanktop
zerknittert und voller Bierflecken verdeckte nicht wirklich ihre
Tattoos, die hautenge schwarze Jeans wies einige Risse auf und ihre
Chucks, mehr dreck-braun als indigo-rot, waren ausgetreten und der
grobe Schmutz fiel in Brocken auf den Boden als sie ihre Knie anzog.
Dennoch spürte sie den lüsternen Blick des Sheriffs, der sich in
manchen Dingen nicht von seinem Sohn unterschied.
„Sheriff, ich gebe
zu, ich habe ein bisschen über die Strenge geschlagen, aber ich
werde mich als Frau doch wohl wehren dürfen, wenn ich sexuell
belästigt werde.“, schnauzte sie ihn an.
„Also mein Sohn
hat mir da heute morgen eine ganz andere Version erzählt. Und ich
glaube Pete wird mir da auch zustimmen, schließlich hängt er sehr
an seiner Bar.“, er zwinkerte Vivian zu und fing dann an zu lachen.
„Tja, diesmal hast
du es dir gründlich versaut. Ich werde dafür sorgen, dass du rüber
in die Frauen-Besserungsanstalt kommst.“, lachend schlenderte er
zurück zu seinem Schreibtisch. Vivian nahm die Blechschüssel in der
ihr Frühstück, eine Mischung aus Haferschleim und Joghurt schwamm,
und warf sie Bowler in den Rücken.
„Jetzt reicht es
mir aber völlig!“, wütend sprang der Sheriff auf und nahm seinen
Schlüssel vom Schreibtisch.
„Ich hol dich da
raus und fahr dich direkt rüber. Es ist mir egal ob dich der Richter
dann wieder raus holt. Aber ich will dich hier nicht haben. Du machst
mich krank!“
Vivian sah wie er
den Schlüssel in das Schloss steckte und gerade umdrehen wollte, als
die Tür zum Büro aufgestoßen wurde und Deputy Simmons aufgeregt
herein gelaufen kam.
Simmons war seit
Jahren die rechte Hand des Sheriffs und kümmerte sich um alle mehr
oder weniger wichtigen Angelegenheiten in der Hoffnung irgendwann der
nächste Sheriff zu werden. Simmons war dürr, fast schon mager und
wirkte immer sehr zerstreut, die Uniform war ihm zu groß und seine
Rückratlosigkeit über die Gemeindegrenzen hinweg bekannt.
„Sheriff, Sir, sie
müssen unbedingt mitkommen. Ihrem Sohn geht es nicht gut. Irgendwas
ist bei der OP schief gegangen.“
„Verdammte
scheiße. Vivian,“, er sah sie hasserfüllt an, „wenn ihm auch
nur die kleinste Narbe bleibt, mache ich dich fertig, dass du nie
wieder einen Fuß in die Freiheit setzen wirst.“ Er zog den
Schlüssel wieder ab und folgte Simmons hinaus. Vivian war wieder
allein mit ihren Gedanken. Gedanken daran, wie sehr sie sich gerade
ihr Leben versaut hatte.
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