Undtot - Kapitel 2: Was vom Abend übrig bleibt

Müde drehte sich Vivian von einer Seite auf die andere. Sie hatte in der letzten Nacht kaum geschlafen. Dies war aber auch kaum möglich, denn die Pritschen in der Ausnüchterungszelle waren sehr sehr unbequem. Sie konnte sich noch ungefähr daran erinnern, wie sie dahin kam. Es musste was mit der Bar zu tun haben, in der sie gestern nach der Arbeit gelandet war.
Mit schrecken löste sich der Nebel vor ihrem geistigen Auge. Unter anderem wurde ihr nun klar, weshalb sie ihren Job geschmissen und zu Pete und Jonny in den Pub gefahren war. Auch der Typ der ihr an den Po gefasst hatte, tauchte vor ihrem geistigen Auge auf.
Vielleicht wäre es ratsamer gewesen sich erst umzudrehen, um zu schauen wer sie belästigt hatte, statt ihm direkt das Bierglas über den Schädel zu ziehen. Aber für Reue war es zu spät. Auch der Sohn vom Sheriff musste lernen, dass er nicht über dem Gesetz stand. Theoretisch jedenfalls. Sein Vater war da anderer Ansicht, weshalb sie nun hier lag und sich ihrer rasenden Kopfschmerzen bewusst wurde.
Hey, Sheriff! Ich bin jetzt wach und möchte noch einmal über meine Haftbedingungen verhandeln.“

Sie hörte einen Stuhl über den Dielenboden kratzen. Ächzend stampfte ein schwergewichtiger Mann Mitte fünfzig auf sie zu. Sheriff Bowler war seit mehr als 25 Jahren bei der Polizei von Exeter, was erklärte warum er mittlerweile so ergraut war. Seiner Figur sah man auch an, dass er in den letzten Jahren die Arbeit anderen überlassen hatte und sich lieber um die hiesige Dezimierung der Donutvorräte kümmerte. Das er an einem Sonntag Morgen Dienst schob war etwas besonderes, was aber bestimmt nicht gut war für Vivian. Nicht nur das Sheriff Bowler eine überaus miese Laune haben würde, weil er es hasste Sonntags morgens zu arbeiten, sondern auch weil er seinen Sohn über alles liebte. Genau den Sohn, der vermutlich noch gestern Abend vor 23 Uhr im Krankenhaus am Kopf genäht werden musste.
Vivian, warum war mir gestern schon klar, dass es ein besonders mieses Wochenende werden würde als mich Pete anrief und mir mitteilte, dass du Stress in der Bar angefangen hattest.“, er lehnte lässig an den Gitterstäben und musterte Vivian, wie sie ausgestreckt auf der Liege lag.
Sie registrierte seinen Blick und schaute an sich selbst hinunter. Ihre schwarzen Haare waren ungewaschen und sehr zerzaust, das rote Tanktop zerknittert und voller Bierflecken verdeckte nicht wirklich ihre Tattoos, die hautenge schwarze Jeans wies einige Risse auf und ihre Chucks, mehr dreck-braun als indigo-rot, waren ausgetreten und der grobe Schmutz fiel in Brocken auf den Boden als sie ihre Knie anzog. Dennoch spürte sie den lüsternen Blick des Sheriffs, der sich in manchen Dingen nicht von seinem Sohn unterschied.
Sheriff, ich gebe zu, ich habe ein bisschen über die Strenge geschlagen, aber ich werde mich als Frau doch wohl wehren dürfen, wenn ich sexuell belästigt werde.“, schnauzte sie ihn an.
Also mein Sohn hat mir da heute morgen eine ganz andere Version erzählt. Und ich glaube Pete wird mir da auch zustimmen, schließlich hängt er sehr an seiner Bar.“, er zwinkerte Vivian zu und fing dann an zu lachen.
Tja, diesmal hast du es dir gründlich versaut. Ich werde dafür sorgen, dass du rüber in die Frauen-Besserungsanstalt kommst.“, lachend schlenderte er zurück zu seinem Schreibtisch. Vivian nahm die Blechschüssel in der ihr Frühstück, eine Mischung aus Haferschleim und Joghurt schwamm, und warf sie Bowler in den Rücken.
Jetzt reicht es mir aber völlig!“, wütend sprang der Sheriff auf und nahm seinen Schlüssel vom Schreibtisch.
Ich hol dich da raus und fahr dich direkt rüber. Es ist mir egal ob dich der Richter dann wieder raus holt. Aber ich will dich hier nicht haben. Du machst mich krank!“
Vivian sah wie er den Schlüssel in das Schloss steckte und gerade umdrehen wollte, als die Tür zum Büro aufgestoßen wurde und Deputy Simmons aufgeregt herein gelaufen kam.
Simmons war seit Jahren die rechte Hand des Sheriffs und kümmerte sich um alle mehr oder weniger wichtigen Angelegenheiten in der Hoffnung irgendwann der nächste Sheriff zu werden. Simmons war dürr, fast schon mager und wirkte immer sehr zerstreut, die Uniform war ihm zu groß und seine Rückratlosigkeit über die Gemeindegrenzen hinweg bekannt.
Sheriff, Sir, sie müssen unbedingt mitkommen. Ihrem Sohn geht es nicht gut. Irgendwas ist bei der OP schief gegangen.“
Verdammte scheiße. Vivian,“, er sah sie hasserfüllt an, „wenn ihm auch nur die kleinste Narbe bleibt, mache ich dich fertig, dass du nie wieder einen Fuß in die Freiheit setzen wirst.“ Er zog den Schlüssel wieder ab und folgte Simmons hinaus. Vivian war wieder allein mit ihren Gedanken. Gedanken daran, wie sehr sie sich gerade ihr Leben versaut hatte.

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